
Abb. 3: Die wichtigsten Scheiter-Rezepte (©Stephan Kasperczyk)
Umfassende Veränderungsprozesse verlaufen eben nicht so, wie Berater:innen das in ihren Modellen gerne benennen, sondern folgen immer der in der Organisation vorherrschenden Logik und eingeschrieben Kultur. Sie müssen daher grundsätzlich auf die Organisation zugeschnitten werden. Überdies können in der Praxis bei der Beobachtung solcher Prozesse eine Reihe von typischen Fehlern beobachtet werden. Diese wichtigen Scheiter-Rezepte zeigt Abbildung 3.
Im Folgenden sollen diese erläutert und Auswege aufgezeigt werden:
In den meisten Unternehmen jagt ein „Veränderungsprojekt“ das nächste. Mal wird die EDV neu ausgerichtet, ein anderes Mal eine Führungs-Ebene wegrationalisiert, eine neue Fehler-Kultur eingeführt, usw.. Dabei folgt ein Management-Mythos dem anderen. Häufig konterkarieren die Ziele des Projektes B zu allem Überfluss die Ziele des Projektes A. Der Organisation bleibt keine Zeit, sich auf die Kulturveränderung einzustellen.
Wirkpause – der aus der Rhetorik stammende Begriff beschreibt gut, was den Organisationen hier fehlt. Abhilfe kann nur geschaffen werden, wenn die Veränderungsprojekte priorisiert, diese weitestgehend sequenziell bearbeitet und der Organisation und ihren Mitgliedern ausreichend Zeit und Unterstützung gewährt werden, um sich an das Neue zu gewöhnen
Veränderungsprojekte sind grundsätzlich eine Provokation für die bestehende Linienorganisation. Deren Führungskräfte müssen erleben, dass wichtige Entscheidungen in Projekten getroffen werden, die quer zur klassischen Linienorganisation angelegt sind. Gestaltungsspielräume ändern sich und bisherige erprobte und eingespielte Führungsstrukturen lösen sich auf. Das implizite und explizite Sozialgefüge der Organisation wird durcheinandergewirbelt, was immer wieder als Machtverlust erlebt wird. Verzögerung von Entscheidungsprozessen, die Ausgrenzung relevanter Mitspieler und die Einbeziehung von für die Entscheidungen irrelevanten Personen sind die Folgen der Verantwortungs-Erosion und wirken hemmend auf Projektfortschritt und -erfolg.
In Zeiten der Kulturveränderung müsste der vorhandenen Unsicherheit durch Klarheit von Strukturen und zu erwartenden Abläufen entgegengewirkt werden, um den Mitarbeitenden Halt und Orientierung zu bieten und Verantwortungsbereiche klar zuzuweisen.
Umfassende Kulturentwicklungsprojekte müssen gut überlegt und vorbereitet werden. Kurzfristig angesetzte Veränderungsprojekte ohne klare Einordnung in den Strategie-Prozess der Organisation binden Ressourcen aller Art und sorgen so für eine permanente Überlastung der Organisation. Da Kulturveränderung Zeit braucht, scheitern diese Vorhaben häufig. Mitarbeiter eines namhaften deutschen Telekommunikationsunternehmens wurden 20 Jahre nach der ersten Unternehmensfusion (zwischenzeitlich hatte die dritte Fusion mit Namensänderung stattgefunden) gefragt, wo sie denn arbeiten. Es wurde immer noch der erste, seit 20 Jahren nicht mehr existente Unternehmensname genannt. Dies ist ein Beleg dafür, wie lange es bei manchen Veränderungsprozessen braucht, bis diese in den Köpfen der Mitarbeitenden ankommen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Kulturveränderungsprojekte ca. 5 Jahre Wirkungszeit benötigen, bis die Veränderungen greifen und die neue Kultur sichtbar und erlebbar wird.
Fehlende Leitidee und Zukunftsperspektive
Veränderungen gelingen leichter, wenn ein klares Bild der Zukunft entwickelt wird. Dieses muss in der Sprache der Mitarbeitenden formuliert und verständlich sein und in eingebettet in eine gute Change-Story
eingebettet werden. Diese muss unbedingt auch die potenziellen Nachteile thematisieren und vor allem deutlich machen, mit welchen Schmerzen auf der sicher stattfindenden Rüttelstrecke während der Kulturveränderung zu rechnen ist. Es nützt nichts, wenn Leitidee der Kulturveränderung und Zukunftsperspektive nur auf schönen Folien im typischen „Beratersprech“ beschrieben werden.
Fehlende externe Faktoren
Mit großer Euphorie starten Initiativen, um dann nach einiger Zeit einzuschlafen. Es fehlt am Durchhaltevermögen, an der nötigen Energie, die Kulturveränderung zu stabilisieren und dauerhaft zu verankern. Kommt es dabei zu Überlastungen in der Organisation, dann werden diejenigen Initiativen aufgegeben, die nicht durch externe Faktoren wie Marktdruck oder gesetzliche Auflagen quasi Muss-Projekte sind. Es scheint für die Priorisierung daher wichtig, auch auf eine ausreichende Verknüpfung der Projektziele mit externen Faktoren zu achten.
Der Umgang mit der Unsicherheit in Veränderungsinitiativen erfordert einerseits eine Vision mit klarem, für alle verständlichen Sinn. Andererseits sind aber auch kurzfristige Anpassungen an die sich ändernden Gegebenheiten in der Organisation selbst oder in der Außenwelt ein wichtiger Erfolgsfaktor. Daher bedienen sich immer mehr Veränderungsprojekte agiler Vorgehensweisen wie Design Process Thinking oder Scrum zur Steuerung. Regelmäßige Reflexion über die Ziele und den sozialen Prozess müssen etabliert werden, um das Navigieren beim Driften zu ermöglichen. Leider fallen diese notwendigen Reflexionsschleifen häufig dem Zeitdruck zum Opfer oder werden halbherzig abgearbeitet.
Reflexionsschleifen müssen, auch wenn sie aufwändig sind, Teil der Prozessarchitektur sein und mit Engagement durchgeführt werden, um den Prozess in der Spur zu halten und gleichzeitig die Selbstbeobachtungskompetenz der Organisation zu unterstützen.
Ignorieren kultureller Hürden
Last but not least werden in der Organisation oder ihrem Umfeld bestehende kulturelle Hürden ausgeblendet oder in Architektur und Design nicht ausreichend berücksichtigt. Dabei kann es sich um interkulturelle Hürden handeln (Umgang mit Macht und Hierarchie, Unsicherheitsabsorption etc.), aber auch Hürden innerhalb der Organisation können Prozesse massiv ausbremsen: Eine Organisation, in welcher noch nie Workshops durchgeführt wurden, Kritik am Management und an Prozessen bisher Tabu war und in der ein patriarchalischer Führungsstil mit Fehlervertuschungskultur jahrelang geübte Praxis ist, kann in einem Veränderungsprojekt nicht in Workshop-Serien zur Schwächen-Identifizierung gejagt werden. In der Prozess-Architektur muss ausreichend Zeit eingeplant werden, um die Organisation langsam an workshop-orientiertes Arbeiten heranzuführen. Es müssen Lernräume (physikalisch und zeitlich) bereitgestellt werden, in welchen beispielsweise Prozessfehler identifiziert une Lösungsansätze erarbeitet werden. Mit der erfolgreichen Implementierung kleiner Schritte kann dann Vertrauen entstehen, welches Voraussetzung dafür ist, kulturelle Hürden zu überwinden.