Radikal neu denken – und von anderen Branchen lernen!
Um tatsächlich eine Halbierung der Projektkosten und eine Senkung der Laufzeit um mehr als 30% zu erreichen, sind radikale Maßnahmen notwendig. Nur kosmetische Korrekturen werden nicht reichen. Neue Wege sind zu beschreiten, was angesichts traditioneller Muster und Vorgehensweisen, einer eher konservativen, risikoscheuen und nach innen gerichteter Kultur den Unternehmen und ihren Führungskräften eher schwerfallen dürfte. Wir haben deshalb ganz bewusst auch nach Lernpotentialen aus anderen Branchen gesucht und sind dabei in der Luftfahrt und der Automobilindustrie fündig geworden.
Dabei hilft es nicht, nur einzelne Aspekte zu optimieren, sondern es sollte eine Reihe von Aspekten gleichzeitig und in abgestimmter Weise angepackt werden. Abbildung 1 gibt hierzu einen Überblick.
Aufgrund der Fülle von Erkenntnissen kann in diesem Artikel nur auf die wichtigsten eingegangen werden, weiterführende Informationen können dem Abschlussbericht (Ritsche et al., 2019) entnommen werden.
Ähnlich wie die Autoren einer internationalen Vergleichsstudie von PwC und VDMA (VDMA, 2019) kommen auch wir ebenfalls zur Erkenntnis, dass im Anlagenbau die Potentiale der Digitalisierung nach wie vor noch zu wenig strategisch genutzt werden. Es gibt zwar erste, vielversprechende Ansätze, so z.B. in den Bereichen des Building Information Modelling (BIM), der Analyse von “Big Data” (u.a. für die Instandhaltung), bei „Predictive Maintenance“ und dem Einsatz von „Virtual bzw. Augmented Reality“. Drohnen werden eingesetzt, um Baustelle/-fortschritt zu überwachen und Blockchain-Technologie wird zur Gestaltung von Verträgen und zur Zahlungsabwicklung genutzt.
Es stehen viele innovative Ansätze bereit, wir müssen sie nur konsequent nutzen!
Die vier, in der Mitte von Abbildung 1 dargestellten Handlungsfelder hängen relativ eng miteinander zusammen. Dabei wird vor allem mit Blick auf die Automobil- und Luftfahrtindustrie dazu geraten, enge Wertschöpfungspartnerschaften zu knüpfen. Lieferverhältnisse mit strategischen Partnern können langfristig vertrauensvoll und integriert auf Augenhöhe gestaltet werden, wobei sich jede der Seiten auf eigene Kernkompetenzen konzentriert und sich flexibel auf die Projektabwicklung einstellt.
Innovationspotenziale und Synergien nutzen
Die engere Einbeziehung der Lieferkette sowie der Wertschöpfungspartner vom Engineering über die Beschaffung und den Bau der Anlagen bis zur Instandhaltung hilft dabei, Innovationspotenziale und Synergien nutzbar zu machen. Die typischerweise im Anlagenbau eher funktional orientierte Organisationsstruktur sollte projektorientiert ausgerichtet und mit Hilfe von Lean Management bzw. Agilem Projektmanagement effizienter gestaltet werden (Whitepaper „7-Prinzipien für erfolgreiche Agilisierung des Projektmanagement“). Standards sind weiterhin wichtig, jedoch dienen sie in diesem Zusammenhang eher der Vereinfachung von Zusammenarbeit. Sie definieren eine gemeinsame Sprache und ermöglichen so eine bessere Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg.
Im Dach des stilisierten Gebäudes (siehe Abbildung 1) ist der Mensch, ohne den in den oben schon beschriebenen Handlungsfeldern natürlich nichts geht. Bei einer Reihe von Expertenworkshops zu den Ergebnissen der EPC-Studie wurde immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht, dass viele Mitarbeiter durch die Prozesse das Bewusstsein zur Verantwortungsübernahme in Projekten verloren haben und sich (nur noch) an komplexen Prozessketten entlanghangeln. Die Komplexität und vor allem hohe Dynamik der Projekte im internationalen Umfeld erfordern aber ein hohes Maß an Selbstbewusstsein, Kompetenz und Verantwortungsübernahme. Diese gilt es wieder gezielt aufzubauen. Dazu zählen auch Investitionen in die Weiterbildung und größere Handlungsspielräume für MitarbeiterInnen, denn sonst wandern diese in für sie attraktivere Branchen ab, oder es fällt zunehmend schwer, neues Personal für den Anlagenbau zu gewinnen.